Wertesystem Bildung: Steht die Ausbildung für den Arbeitsmarkt im Zentrum?
Bei der Diskussion, welche Art der Bildung gesellschaftlich und aus bildungsbiographischer Sicht sinnvoll und notwendig ist, scheiden sich die Geister. Soll eine Gesellschaft marktorientiert ausbilden? Soll Bildung im bildungstheoretischen Sinne exemplarisch sein?
«Das Neue zögert, dort zu erscheinen, wo es erwartet wird»
Komponist Wolfgang Rihm
Würden wir uns in einer widerspruchsfreien Gesellschaft bewegen, so wäre es vielleicht einfacher, im Sinne der Allgemeinheit diese Fragen zu adressieren. Die Interessen und Erwartungen an das Bildungssystem sind indes höchst unterschiedlich; «die» Gesellschaft und das Individuum verfolgen oftmals nicht die gleichen Ziele. Ausserdem basieren die vielen evidenzgestützten Empfehlungen auf Studien, die unterschiedliche, bisweilen sich widersprechende Hypothesen stützen und meist Interpretationsspielraum zulassen. Viele Einschätzungen zum Bildungssystem und/oder zu individuellen Bildungswegen sind demnach eine Frage des Gesichtspunkts, und somit interessensgeleitet.
Spätestens seit dem Einzug des New Public Managements an den Hochschulen in den 1990-er Jahren kann eine Engführung des Bildungsverständnisses beobachtet werden, das primär von instrumentellen Prinzipien geleitet ist und sich zuweilen situativ und kurzfristig an sich ändernden Arbeitsmarktbedürfnissen orientiert.
Kein Wunder, dass in Zeiten einer hohen Nutzensorientierung gerade die Geisteswissenschaften auf ihre Existenzberechtigung im Grundsatz hinterfragt werden. Dies ist an sich gut so, denn Fragen und Reflektieren sind für eine demokratische Gesellschaft legitim und geben Anlass zu eigenen Vergewisserung.
PS: Das täte auch anderen Bereichen gut!
«Bildung ist Bürgerrecht» (Lord Ralf Dahrendorf)
Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass Prognosen zum Bedarf des Arbeitsmarkts an manpower auch für mittelfristige Zeiträume keine vernünftigen Handlungsanleitungen für policy-makers ermöglichen. Ein jüngeres Beispiel dafür findet man in Norwegen, wo unzählige Erdölingenieure basierend auf diesem manpower approach ausgebildet wurden und nun nach dem plötzlichen Einsturz des Erdölpreises ohne Arbeit dastehen.
Als Gegenpol zu diesem Bedarfskonzept bestimmt im Nachfrage-Konzept (social demand approach) die individuelle bzw. gesellschaftliche Nachfrage nach Bildung die Bildungsplanung. Gemäss einer Studie des Departements of Labor werden 2/3 der heute neu ausgebildeten Personen später in einem Beruf arbeiten, den es heute noch nicht gibt. Diese Gewissheit muss handlungsleitend sein.